Marcus Pretzell, MdEP

Die Stahlindustrie in Europa hat seit einiger Zeit mit großen Herausforderungen zu kämpfen: Wirtschaftskrise, drastischer Rückgang des Weltstahlverbrauchs, massive Konkurrenz aus dem Ausland, zusätzliche Belastungen durch hohe Umweltschutzstandards sowie Zertifikatehandel und -im internationalen Vergleich- hohe Arbeitslöhne. Das alles hat zu dramatischen Wettbewerbsverzerrungen im globalen Markt geführt und zu Carbon Leakage (Carbon Leakage: Abwanderung der Produktion in andere Länder ohne vergleichbare Umweltschutzmaßnahmen und dadurch Erhöhung der globalen Kohlendioxid-Emissionen).

Alle diese Maßnahmen haben keineswegs zum erwünschten Ziel geführt, doch eines hatten sie gemeinsam: sie waren zu Ungunsten der europäischen Stahlindustrie. 65 000 Arbeitsplätze gingen in den letzten Jahren in Europa verloren. Hier sind Standorte in Gefahr, Standorte mit moderner umweltschonender, nachhaltiger Technologie!

Statt in übermäßige Bürokratie zu verfallen, wäre die EU besser beraten, das Regelwerk zu vereinfachen, der europäischen Stahlindustrie vernünftige Rahmenbedingungen an die Hand zu geben, die ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken und – statt in Carbon Leakage zu münden – den Stahlstandort Europa mit seinen modernen, umweltschonenden Anlagen und effizienter Prozesstechnik, mit seinen Arbeitsplätzen sichern!

Verständlicherweise steht die Branche als eine der sogenannten energieintensiven Industrien unter besonderer Beobachtung hinsichtlich ihres CO2-Ausstoßes. Innovative Entwicklungen und ständige Investitionen in moderne Anlagen- und Prozeßtechnik ermöglichten eine stetige Absenkung des Carbon Footprint – viele europäische Werke sind fast an den Grenzen des technisch Machbaren angelangt. Denn aufgrund der chemisch-physikalischen Gesetzmäßigkeiten, denen die Stahlerzeugung unterliegt, ist es nicht möglich, die CO2-Emissionen in dem Maße zu senken, wie sich das Mancher vielleicht vorstellen mag. Doch die Innovationskraft in europäischen Produktionsstätten wird nicht anerkannt – statt dessen stellt der Zertifikatehandel eine immense zusätzliche finanzielle Belastung dar, die die internationale Konkurrenzfähigkeit stark beeinträchtigt. Backloading und eine frühere Einführung der Marktstabilitätsreserve erwecken eher den Anschein, dass es der EU weniger um die Absenkung von Treibhausgasemissionen geht, als um die Sicherung der Einnahmequelle Zertifikatehandel! Dieser moderne Ablasshandel ist kontraproduktiv und keineswegs im Sinne eines globalen Umweltschutzes!

Hinzu kommt, dass eine globale Absenkung der Treibhausgasemissionen nicht von der EU allein erreicht werden kann. Ihr Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß beträgt 10 % – eine EU-weite Reduzierung des Carbon Footprint um 40% würde weltweit nur 4% ausmachen! Solange die großen Emittenten China, USA, Kanada, Russland nicht mitziehen oder – wie in diesem Jahr Australien – den Zertifitatehandel wieder abschaffen, sind selbst ehrgeizigste EU-Anstrengungen global gesehen eher unbedeutend. Die Industrie in der EU verliert jedoch weiter an Wettbewerbsfähigkeit. Die Stahlindustrie in der EU ist durchaus bereit, ihren Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. Den Beweis erbringt z.B. die deutsche Stahlindustrie, die in den 1990ger Jahren mit ihrer Selbstverpflichtung zur Emissionssenkung startete.

Fazit: Die Stahlindustrie in der EU braucht endlich Planungssicherheit! Unternehmen, die in umweltfreundliche, nachhaltige Anlagen- und Prozesstechnik investiert haben, dürfen nicht länger für ihre Investitionskraft bestraft werden! Ungleichgewichte müssen zugunsten einer nachhaltigen, global verbindlichen Umweltrichtlinie ausbalanciert werden. Deshalb trete ich für eine umweltfreundliche Lösung ein, die die Wirtschaftlichkeit und internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Stahlindustrie stärkt. Dieses Ziel können wir erreichen, indem wir
 die Benchmarks an den wirklich effizienten Anlagen und den aktuellen Produktionsmengen ausrichten, was letztlich auch die Marktstabilitätsreserve überflüssig machen würde und
 bei den Zertifikaten sowohl die direkten als auch die indirekten Emissionen berücksichtigen.