Jan Preuß, Lehrer für Deutsch und Biologie der Sekundarstufe II,
ist im Landesfachausschuss für Bildung, Forschung und Kultur aktiv.
Er vertritt die AfD im Ausschuss für Bildung der Stadt Gelsenkirchen.
Die individuelle Förderung – sinnvoller Ansatz oder Instrument der Gleichmachung?
Bildung sei die Währung des 21. Jahrhunderts, las ich jüngst im Focus. Dem möchte ich mich anschließen. Aber Formulierungen dieser Art kennen wir alle – vor allem aus der Zeit, als wir noch auf dem Weg in das 21. Jahrhundert waren. Nun aber sind wir schon mittendrin und müssen uns fragen: Welchen Wert hat diese Währung für unsere Gesellschaft?
Wollen wir sie schwach wie den Euro oder stark wie die Mark sehen?
„Stark wie die Mark!“ werden nun alle rufen und ich möchte mich abermals anschließen.
Leider aber strotzt die Bildung nicht gerade vor Stärke – auch, wenn uns die Landesregierung oft anderes glauben machen möchte. Die Hilferufe aus der Wirtschaft nach qualifizierten Fachkräften und die weiterhin hohe Zahl der Studienabbrecher bestätigen das.
Sind unsere Kinder denn nun dümmer als früher? Oder gar die Lehrer?
Beides trifft natürlich so nicht zu. Dennoch gibt es Gründe, die zu der nachlassenden Leistungsfähigkeit unseres gesamten Schulsystems geführt haben. Einige davon sind Stellschrauben, welche die Politik relativ problemlos verändern kann. Andere sind tief in der Gesellschaft verankert und bedürfen einer großen Kraftanstrengung, wenn nicht gar einer gesellschaftlichen Umwälzung.
Betrachten wir zunächst einen Faktor, den wir zügig beeinflussen könn(t)en:
Das Lehrer-Schüler-Verhältnis.
Je mehr sich die Klassengröße einem Idealwert von 13-17 Schülern pro Klasse annähert, desto stärker rückt der einzelne Schüler in das Blickfeld des Lehrers. Das zeigt sich u.a. in der Betreuung während des Unterrichts sowie in der Diagnose von Problemen.
Gerade bei letzterem stoßen wir in einen Bereich vor, der heutzutage in seiner Wichtigkeit endlich erfasst wurde: Jeder Schüler ist anders.
Die Frage ist nur, wie man mit dieser Tatsache umgeht. Für unsere rot-grüne Landesregierung lautet die Zauberformel „Individuelle Förderung“. Und die versteht sie folgendermaßen:
Weil Heterogenität per Definition gut sei, müssen Klassen möglichst bunt durchmischt werden. Also nicht nur in Bezug auf Geschlecht und Nationalität, sondern vor allem auch in Bezug auf die persönliche Leistungsfähigkeit der Schüler! Also von Grundschulniveau bis Hochbegabt alle in eine Klasse, in einen Raum. Die zzt. stattfindende Inklusion ist da übrigens nur das konsequente Weiterdenken dieser verqueren Idee.
Nun liegt es am Lehrer, zu erkennen, welche von seinen 28 Schülern noch mit dem Dreisatz große Probleme haben und welche er ohne weiteres schon Gleichungssysteme mit zwei Unbekannten lösen lassen kann – hier um einmal ein deutliches Beispiel zu wählen. Entsprechend sollen dann die Übungsaufgaben passgenau auf jeden Schüler zugeschnitten werden. Für jeden. In jeder Klasse.
Wenn ein Lehrer also z.B. sieben verschiedene Klassen a 28 Schüler unterrichtet, so sind das rund 200 Schüler, die er korrekt einstufen und fördern muss. Für jede einzelne Unterrichtsreihe. Dabei sind Inklusionsschüler noch gar nicht mit einbezogen! Und nicht nur die Schwachen sollen gefördert werden, sondern auch die Starken sollen noch besser werden, als es der Lehrplan verlangt.
Ein Ding der Unmöglichkeit? Das sieht unsere Landesregierung leider anders.
Denn die Parteien links der Mitte favorisieren schon seit Jahrzehnten die Eine-Schule-für-Alle. Was ihnen mit der Gesamtschule in den 70er Jahren und der Sekundarschule in den 2010er Jahren nicht vollständig gelungen ist, kommt nun schleichend über die Klassenheterogenität. Wenn denn erst einmal Schüler jedes Leistungsniveaus in jeder Schulform in gleicher Anzahl vorhanden sind, kann man getrost die Umwandlung der Schulen in Einheitsschulen verlangen – sie wären es ja praktisch schon.
Natürlich kann Heterogenität einer Gesellschaft in vielen Bereichen gut tun. Unserer Bildungslandschaft tut sie es aber nur bedingt.
Wie also nun umgehen mit der Verschiedenheit der Schüler?
Im Prinzip hat es uns das mehrgliedrige Bildungssystem schon vorgemacht: Je nach Leistungsstärke besucht der Schüler eine darauf ausgerichtete Schulform.
Denn innerhalb der Schulen gibt es noch genug Unterschiedlichkeit. Erinnern Sie sich an Ihre eigene Schulzeit: Wer gut in Mathematik war, der war es in Deutsch noch lange nicht. Von den guten und schlechten Sportlern einmal ganz zu schweigen.
Wir brauchen also nicht mehr, sondern weniger Heterogenität in den Klassen, wenn wir unsere Kinder gezielt und individuell fördern möchten. Das kann bedeuten: Bei einer vierzügigen Schule (also vier Parallelklassen pro Jahrgangsstufe) gibt es eine Klasse mit mehr Förderbedarf in Mathematik, eine mit mehr Förderbedarf in Deutsch usw. Und das heißt nicht, das diese Klassen nicht die gleichen Leistungen erbringen müssten. Sie könnten aber ein oder zwei Zusatzstunden in ihrem Problemfach erhalten (sog. Differenzierungsstunden).
Die Schüler würden schon beim Wechsel zur weiterführenden Schule gemäß ihres Förderbedarfs den entsprechenden Klassen zugeordnet. Wenn diese Klassen nun auch noch kleiner sind, kann dann der Lehrer wirklich gezielt nach den Problemen der Schüler forschen, diese erkennen und angehen.
Darüber hinaus wäre auch eine Aufsplittung von Klassen nach Geschlechtern in einigen Fächern denkbar, z.B. im Sportunterricht.
Dass dies alles eine Beibehaltung der Förderschulen (ehemals „Sonderschulen“) voraussetzt, ergibt sich von selbst.
Denn eines müssen wir als Gesellschaft akzeptieren: Chancengleichheit kann nur bedeuten, dass zu Beginn der Schulkarriere allen Schülern die gleichen Möglichkeiten offen stehen müssen. Das, was Rot-Grün unter „Chancengleicheit“ versteht, nämlich dass am Ende ihrer schulischen Laufbahn alle Schüler in etwa gleich gut sind, ist illusorisch. Ein Teil unseres Genius’ ist uns eben in die Wiege gelegt und nahezu unveränderbar.
Unsere heterogene Gesellschaft braucht eben Polizisten, Fabrikarbeiter, Lehrer, Erzieher, Verkäufer, Bankberater etc. etc.
Sie braucht Wirtschaftsprofessoren, aber auch Chemiker, Publizisten und Rechtsanwälte.
Und manchmal sogar Politiker.