Helmut Schmidt 95
Von Hans Friedrich Rosendahl

Der 95. Geburtstag von Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt, im Dezember 1918 geboren, wurde kürzlich bei einem Festakt in seiner Heimatstadt Hamburg gefeiert. Aus diesem Anlass sei daran erinnert – was man heute in unseren Medien nicht mehr liest und in den Reden zu seiner Würdigung nicht hört – dass unsere bis heute andauernde Wirtschaftskrise zur Regierungszeit Helmut Schmidts begann und er selbst damals wesentliche Weichenstellungen mit zu verantworten hatte.

Zunächst sei klargestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland in Helmut Schmidt eine gemeinwohl-orientierte, intelligente und gebildete, absolut honorige Persönlichkeit des öffentlichen Lebens hatte. Doch auch sein Fachwissen als gelernter Volkswirt verhinderte nicht, dass mit ihm als Finanzminister und dann als Bundeskanzler der Marsch in den Schuldenstaat und in die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland begann. Zu berücksichtigen ist, dass Schmidt auf außen- und sicherheitspolitischem Gebiet mit seiner Partei zu kämpfen hatte und sich auf diesen Gebieten erfreulicherweise durchsetzte.  Auf wirtschaftspolitischem Gebiet hingegen blieb er auf Linie seiner ausgabefreudigen Partei, wohl auch aus Überzeugung. Denn die überraschenden, drastischen Heraufsetzungen des Ölpreises durch das OPEC-Kartell in 1973, die in Deutschland zu einem Sonntagsfahrverbot für PKW führte, und ein weiteres Mal in 1978 lösten weltweit eine Krise aus, die die SPD nach Keynes Rezept mit kreditfinanzierten Staatsausgaben-Programmen bekämpfen wollte.

Doch Schmidts stets wiederholte Erklärung „Das Ausland ist schuld“ überzeugt keineswegs. Seine beiden sozialdemokratischen Amtsvorgänger als Finanzminister, Alex Möller und Karl Schiller, waren im Mai 1971 und im Juli 1972 zurückgetreten, weil sie die von der SPD geforderte expansive Ausgabenpolitik nicht verantworten wollten. Schiller erklärte:  „Ich bin nicht bereit, eine Politik zu unterstützen, die nach außen den Eindruck erweckt, die Regierung lebe nach dem Motto: Nach uns die Sintflut.“ Schmidts Vorgänger sahen die Folgen der falschen Regierungspolitik klar vor Augen und prangerten das öffentlich an. Sie hatten Recht. Ebenso wie Ludwig Erhard, der als Alterspräsident des Bundestages am 14.12.1976 erklärte: „Der neue Bundestag beginnt seine Arbeit in einer Zeit großer Besorgnisse und schmaler Hoffnungen.“ Was Erhard in prophetischer Weitsicht sah, hat bis heute Gültigkeit.

So stieg die Verschuldung des Bundes in den siebziger Jahren um sagenhafte rd. 400 Prozent, freilich aus heutiger Sicht auf minimalem Niveau. Die Personalquote der öffentlichen Haushalte stieg von unter 40 auf 47 Prozent. Die Pensionsverpflichtungen, die damals geschaffen wurden, belasten uns noch auf viele Jahre. Die Arbeitslosigkeit, die 1970 noch bei 149.000 (kein Schreibfehler) gelegen hatte, stieg unter Schmidt 1975 erstmals auf 1 Million und zum Ende seiner Amtszeit 1982 auf 2 Millionen. Inflation und später Hypothekenzinsen erreichten Rekordhöhen.

Neben der großzügigen Ausgaben- und Umverteilungspolitik hat Helmut Schmidt noch zwei weitere Weichen gestellt, die bis heute nachwirken:

Er verlagerte die Zuständigkeit für Geld- und Finanzfragen 1974 vom Wirtschaftsministerium in das Finanzministerium. Finanzminister sind immer an einer Politik des leichten Geldes interessiert, die ihnen eine Refinanzierung der Staatsschulden zu niedrigen Zinssätzen erlauben, und sie wollen stets eine schnelle Konjunkturbelebung, damit die Steuerquellen kurzfristig sprudeln. Ihnen die Zuständigkeit für Bankensektor und Bundesbank zu geben, führt zu Interessenkollisionen. Deshalb war diese Verlagerung eine ordnungspolitisch grundsätzlich falsche Weichenstellung. Die AfD muss sich deshalb für eine Rückverlagerung einsetzen.

Außerdem war Helmut Schmidt kein Freund freier Wechselkurse. Sein Vorgänger Schiller, damals auch Wirtschaftsminister, hatte  erst 1971 nach heftigen Meinungsstreiten und  langwierigen Diskussionen freie Wechselkurse  für die Bundesrepublik Deutschland eingeführt, nachdem das Bretton Woods-Abkommen fester Wechselkurse weltweit gescheitert war. Schmidt und sein französischer und damit typisch etatistisch denkender Finanzkollege Giscard d’Estaing, später Präsident, wollten etwas so Wichtiges wie Wechselkurse nicht einfach dem freien Markt überlassen. Das sollte in der Hand der Politiker bleiben. Sie schufen in Nachfolge des gescheiterten Bretton Woods-Systems das Europäische Währungssystem EWS mit wiederum festen Wechselkursen. Es musste 1993 aufgeweicht und praktisch aufgehoben werden. Der vorangegangene Unfrieden mit gegenseitigen Schuldzuweisungen erinnert an die heutige Situation in den Euro-Ländern. Mit dem auf Druck von Mitterand  eingeführten Euro waren dann Wechselkurse innerhalb von Euroland gleich ganz abgeschafft!

Schmidt tritt auch heute noch bei seinen öffentlichen Appellen für die Erhaltung des Euro ein. Freie Wechselkurse gehörten eben nie zu seinem Weltbild. Man kann nicht erwarten, dass er dieses in hohem Alter noch ändert, selbst wenn er in anderen Fragen Altersweisheit erkennen lässt.

Wer die Anfänge und Ursachen unserer lang andauernden Wirtschaftskrise suchen will, muss sie in der Zeit ab Regierungseintritt der SPD – da wurde zuerst einmal die Schuldenbremse des Grundgesetzes nach Art. 115 aufgeweicht – und insbesondere in der Regierungszeit Helmut Schmidts suchen. Zugleich begannen damals auch in den USA die Probleme der Finanzierung des Vietnamkriegs auf Finanzpolitik und Geldpolitik durchzuschlagen, was dann auch erste Auswirkungen auf den Sparkassensektor in den USA hatte.

Von einer Lösung der damals entstandenen und seither nur verschärften Probleme sind wir heute leider weiter entfernt als je zuvor.